Der Rat der Stadt Bochum tagte am Donnerstag, den 17. Dezember 2020 zum zweiten Mal. Diesmal in einer denkwürdigen Marathon-Sitzung, die fast neun Stunden dauerte. Im Grunde genommen war es die Fortsetzung der konstituierenden Sitzung des Rates im November 2020. Einerseits mussten noch Gremien besetzt werden. Andererseits stand die Wahl der Ausschüsse erneut auf der Tagesordnung aufgrund der neuen Fraktion Die PARTEI/Stadtgestalter.
Bei @4630de gab es schon direkt am Donnerstag eine Berichterstattung aus der Sitzung des Rates via Twitter (siehe hier: 2. Ratssitzung in Bochum: @4630de berichtet live (u.a. von der Neuwahl der Ausschüsse) #ratBO). Jetzt ein etwas ausführlicherer, zweiter, Bericht zur vergangenen Ratssitzung:
Quelle: eigen | All Rights ReservedRatssitzung jetzt in der Jahrhunderthalle Bochum
Da der RuhrCongress, wo zuletzt der Rat der Stadt Bochum tagte, zum Impfzentrum ausgebaut wurde, konnte der Rat dort nicht mehr tagen. Stattdessen traf man sich in der Jahrhunderthalle Bochum, die auch genügend Platz bietet, um unter Corona-Bedingungen zu tagen.
Neben inhaltlichen Punkten (wie z.B. der Veränderungssperre für das Bermuda3eck oder die Ergebnisse der Wahlprüfung, über die 4630.de bereits ausführlich berichtete) standen auf der Tagesordnung dieser Sitzung auch viele formelle Punkte, die abzuarbeiten waren.
So auch die Besetzung diverser Gremien aber auch die Neuwahl der Ausschüsse.
Doch zuvor gratulierte der Oberbürgermeister Thomas Eiskirch anwesenden Ratsmitgliedern:
Einerseits Roland Mitschke von der CDU: Dieser hatte auf den Tag genau vor 40 Jahren seine Ratstätigkeit aufgenommen! Und danach gratulierte er Burkart Jentsch. Denn der neu gewählte SPD-Fraktionsvorsitzende feierte an diesem Tag mit allen Ratsmitgliedern gemeinsam – und zwar seinen Geburtstag. Das er diesen Ehrentag dann auch so lange dort verbringen sollte, hatte er sich vermutlich auch im Vorfeld nicht gedacht.
“Die Mitglieder!“
Burkart Jentsch (SPD) auf die Frage, ob er heute an seinem Geburtstag zuerst die Kerzen oder aber die Mitglieder der SPD-Fraktion für die heutige Sitzung gezählt hat.
AfD-Ratsfraktion beantragt geheime Wahl für alles
Zu Beginn des Tagesordnungspunktes 1.12 beantragte die AfD-Ratsfraktion für diese und die weiteren folgenden Wahlen jeweils geheime Abstimmung.
Das ist grundsätzlich das gute Recht, sollte jedoch auch unter Pandemiebedingungen kritisch betrachtet werden. Schließlich sind so die 83 Ratsmitglieder (von 86; drei fehlten entschuldigt) aufgefordert immer wieder durch die Jahrhunderthalle zu gehen, um dann in der Wahlkabine geheim zu wählen. Angesichts von Corona ist das – nicht nur wegen der zusätzlichen Zeit, die das ganze dann kostet – eigentlich nicht angeraten.
Dazu gab es dann eine Nachfrage von Oberbürgermeister Thomas Eiskirch. Dieser wollte wissen, ob dies auch für die Wahlgänge gelten würde, wo nur eine Person zur Wahl stehen würde. Denn dort wäre ja das Ergebnis eigentlich klar. Die AfD forderte aber auch hier eine geheime Wahl.
Erste Sitzungsunterbrechung
Dies führte zur ersten Sitzungsunterbrechung auf Antrag von Burkart Jentsch (SPD). Diese sollte sich jedoch etwas länger hinziehen, denn für eine geheime Wahl müssen ja auch natürlich erst einmal entsprechende Stimmzettel erstellt und ausgedruckt werden. Dies ist auch nichts gewesen, was man irgendwie hätte großartig vorbereiten können. Denn einerseits wusste man ja vorher nichts von der geheimen Wahl und andererseits kann es da ja auch immer kurzfristig noch zu Änderungen kommen.
Doch keine geheime Wahl überall
Nach ungefähr einer Stunde (!) Pause ging es dann endlich weiter. Anscheinend musste man der AfD erklären, dass bei manchen Tagesordnungspunkten eine geheime Abstimmung nun wirklich keinen Sinn ergibt (siehe oben).
Das ist jedoch wohl gelungen – denn die AfD modifizierte ihren eigenen Antrag. Jetzt forderte sie nur noch geheime Wahl für die Tagesordnungspunkte, bei denen die AfD eigene Personalvorschläge eingereicht hatten.
“Was soll die Scheiße?“
(unbenanntes Ratsmitglied zu den Anträgen der AfD)
PARTEI/Stadtgestalter beteiligen sich demonstrativ an Gremienwahlen nicht
Nach einem kleinen Formalismus-Geplänkel konnte der Vertreter der neuen Ratsfraktion (PARTEI/Stadtgestalter) das Wort ergreifen. Er erklärte, dass seine Fraktion sich an den Gremienwahlen nicht beteiligen würde.
Doch man würde sich nicht einfach nur quasi enthalten, sondern wolle sich tatsächlich nicht beteiligen und daher würde man auch darum bitten, dass die vier Ratsherren der Fraktion erst gar keine Stimmzettel bekommen würden.
Das ganze hat natürliche eine einfache Erklärung: Im Vorfeld wurde in einigen Teilen des Rates vermutet, dass eventuell die PARTEI/Stadtgestalter-Fraktion bei einer geheimen Wahl mit der AfD stimmen würde. Durch diese demonstrative nicht-Beteiligung konnte die Fraktion klar machen, dass diese Gerüchte auf keinen Fall zutreffen können.
Erste Ergebnisse der Gremienwahlen: AfD im Verwaltungsrat der Sparkasse Bochum
Als erstes stand die Wahl zum Verwaltungsrat der Sparkasse Bochum auf. Als der Oberbürgermeister die Ergebnisse verkündete war klar, dass es hier zu einer nicht zu erwartenden Überraschung gekommen ist: Die AfD erhielt 7 Stimmen bei dieser Abstimmung und damit einen Sitz im Verwaltungsrat der Sparkasse. Da die AfD „nur“ 5 Ratsmitglieder hat, war mit diesem Ergebnis her nicht zu rechnen.
Diesen Sitz konnte die AfD auf Kosten des Ratsmitglieds Kenan Yildiz (CDU) erlangen, der dadurch nicht in den Verwaltungsrat einzog. Als dieses Ergebnis offiziell bekannt wurde (inoffiziell war es das schon einige Minuten) war die Irritation im Rat groß.
(Mutmaßlich?) CDU-Stimmen für die AfD statt für die eigene Liste
Christian Haardt (CDU), Vorsitzender der CDU-Fraktion im Rat, beantragte daraufhin eine Sitzungsunterbrechung und zog mit der gesamten CDU-Ratsfraktion aus der großen Halle, um sich in der Vorhalle zu besprechen. Aussagen von anderen Besuchern der Ratssitzung zufolge war das akustisch gesehen eine etwas intensivere Besprechung.
“Man hätte sich ja einiges für diese Ratssitzung heute vorstellen können – aber nicht das!“
(unbenanntes Ratsmitglied zur Besetzung des Verwaltungsrates der Sparkasse)
Bei den anderen Fraktionen galt es schnell als sicher, dass die zwei zusätzlichen Stimmen der AfD von der CDU stammen. Das sind natürlich erstmal nur Mutmaßungen, denn bei geheimen Wahlen gibt es wenig Möglichkeiten so etwas zu beweisen. Aber den Ergebnissen der einzelnen Wahlvorschläge nach, war und ist es zumindestens recht wahrscheinlich, dass diese beiden zusätzlichen Stimmen für die AfD von der CDU kamen.
Anfängliches Abwiegeln der CDU
Waren die führenden (und ehemals führenden) Vertreter der CDU Bochum im Rat der Stadt Bochum sichtlich geschockt von dem Ergebnis, gab es im Nachgang zur Ratssitzung erst einmal ein Abwiegeln. So erklärte beispielsweise der CDU-Fraktionsvorsitzende beispielsweise folgendes in zahlreichen Diskussionen bei Facebook:
„Es war eine geheime Abstimmung, wir sind 18 Ratsmitglieder, waren zu diesem Zeitpunkt aber nur 17. Unsere Liste hat 22 Stimmen bekommen, gebraucht hätten wir eine oder zwei mehr. Die AfD hat 5 Mitglieder und hat 7 Stimmen bekommen. Woher die 2 zusätzlichen AfD-Stimmen kamen, kann niemand sagen. Das Ganze ist eine Riesensauerei, die klar zu Lasten unserer Fraktion geht. Ich gehe davon aus, dass jedes unserer Fraktionsmitglieder auch im Interesse der Fraktion abgestimmt hat.“
Christian Haardt (CDU)
Diese eher abwiegelnde Position wurde dann in Diskussionen teilweise scharf kritisiert.
Erklärung von CDU (Partei und Fraktion) zur Gremienwahl
Einige Tage nach der Ratssitzung kam es dann zu einer gemeinsamen Erklärung von Partei und Fraktion zur Gremienwahl, in der man sich deutlich von der AfD distanzierte.
In weiteren Diskussionen äußerte sich Christian Haardt dann auch recht deutlich:
„Sicher findet es nicht jeder gut, dass ich wieder Fraktionsvorsitzender geworden bin, aber deshalb wählt man nicht AfD und schadet der gesamten Fraktion. Sollten es tatsächlich Stimmen von uns gewesen sein, sollten die Feiglinge sich dazu bekennen und daraus die Konsequenzen ziehen. In der CDU sind sie dann jedenfalls falsch!“
Christian Haardt (CDU)
Damit sprach er die Entscheidung innerhalb der CDU-Ratsfraktion an, wo er als bisheriger CDU-Fraktionsvorsitzender nach der Kommunalwahl herausgefordert wurde und sein Kurs nur eine knappe Mehrheit (von zwei Stimmen übrigens) erhielt.
Insofern hat sich da die Tonlage der CDU Bochum zu dieser Angelegenheit geändert, denn das ist nicht mehr das anfängliche Abwiegeln.
Weitere Gremienwahlen
Nach diesem Wahlgang ging es weiter – jeweils pro Wahlgang mit geheimer Wahl dauerte das ungefähr 20 Minuten. Zwischenzeitlich gab es dann auch immer wieder Sitzungsunterbrechungen. Einerseits zwecks Beratungsbedarfs einzelner Fraktionen – andererseits aber auch wegen gewisser natürlicher Bedürfnisse.
Auch bei den weiteren Wahlen gab es fast durchgehend mehr Stimmen für die AfD als sie Mitglieder im Rat hatte.
Erneute Wahl der Ausschüsse der Stadt Bochum
Nachdem bei der konstituierenden Sitzung des Rates der Stadt Bochum (im November) die Ausschüsse der Stadt schon mal gewählt wurden, stand jetzt erneut ein entsprechender Punkt auf der Tagesordnung.
Warum die erneute Ausschusswahl notwendig wurde
Bei der Ratssitzung im November bildeten die zwei Ratsmitglieder von „Die PARTEI“ sowie die zwei Ratsmitglieder der Stadtgestalter jeweils eine eigene Ratsgruppen. Alleine im Rat ist man Einzelkämpfer und Solist, zu zweit eine Gruppe und ab drei gilt man als Fraktion.
„Damals“ (im November) kandidierten die Mitglieder der beiden Ratsgruppen für die Ausschüsse der Stadt Bochum. Doch keines der vier Ratsmitglieder von ihnen wurde mit Stimmrecht in einen der Ausschüsse gewählt. Stattdessen jedoch jeweils eine Person von der FDP- bzw. UWG: Freie Bürger-Fraktion.
Nach dieser Ratssitzung bildeten die bisherigen Ratsgruppen von „Die PARTEI“ und Stadtgestalter eine gemeinsame Fraktion. Dadurch haben sich die Machtverhältnisse unter den Fraktionen im Rat geändert. Denn die neue Fraktion hat 4 Mitglieder und ist damit jeweils größer als die von der FDP und von der UWG (mit je 3 Mitgliedern). Jetzt, so die Argumentation der PARTEI/Stadtgestalter-Fraktion sei die Spiegelbildlichkeit des Rates verletzt. Denn die jeweils kleineren Fraktionen von FDP als auch von der UWG seien in den Ausschüssen mit jeweils einem Mitglied vertreten, die neue PARTEI/Stadtgestalter-Fraktion aber nicht.
Bewertung dazu
Das Argument ist nicht ganz von der Hand zu weisen, denn die Gerichte in diesem Land sehen schon das Prinzip der Spiegelbildlichkeit vor: Demnach müssen die Ausschüsse von den Machtverhältnissen her dem eigentlichen Gremium (hier dem Rat der Stadt Bochum) entsprechen. Wobei aber klar ist, dass das nicht 1:1 so geht – denn eine Sitzverteilung von 86 Ratsmitgliedern kann man nicht 1:1 auf einen Ausschuss mit 15 Mitgliedern übertragen.
Das dieses Argument etwas für sich hat, scheint man auch bei der Stadt Bochum so zu sehen: Denn dort hat man – nach offizieller Mitteilung der Fraktionsbildung – die Neuwahl der Ausschüsse von Amts wegen auf die Tagesordnung gesetzt.
Am Rande angemerkt…
Am Rande soll aber noch erwähnt werden, dass bei der Sitzung im November zwar die beiden Ratsgruppen von „Die PARTEI“ und Stadtgestalter zwar für jeden Ausschuss kandidierten, aber in Wirklichkeit sich wechselseitig gegeneinander unterstützen: Bei dem einen Ausschuss stimmten alle vier Ratsmitglieder der beiden Gruppen für die eine Liste, bei dem nächsten Ausschuss dann für die andere Liste. Und so weiter und so fort.
Offensichtliches Ziel war es, dass man mit den gebündelten vier Stimmen an den Fraktionen von FDP und UWG vorbeiziehen wollte. Damit waren die beiden Ratsgruppen aber nicht erfolgreich. Wären Sie es gewesen, wäre es spannend gewesen, ob von ihnen auch die Spiegelbildlichkeit des Rates angesprochen worden wäre. Denn wenn man deren Argumentation übernimmt, dann wäre diese in einem solchen Fall durch „Die PARTEI“ und Stadtgestalter etwas strapaziert worden… ein Schelm der Böses dabei denkt.
Wahl der Ausschüsse – oder: Satz mit X, es ändert sich nix
Im Endeffekt hat sich nachher vom Ergebnis her nichts geändert. Denn das Ergebnis der Ausschussbesetzungen war genau so wie im November:
Quelle: eigen | All Rights ReservedJedoch muss man dazu erwähnen, dass diesmal die Ratsmitglieder im Detail teilweise anders abgestimmt haben als im November. Vom Ergebnis her blieb es aber gleich.
Klage angekündigt
Auch wenn sich – insbesondere am Tag der Ratssitzung und am Tag danach – die Aussagen da etwas unterschieden haben: Es scheint so, als ob die PARTEI/Stadtgestalter-Fraktion jetzt dagegen klagen möchte. Angesichts des sogenannten Tönisvorst-Urteils ist man sich dort sehr sicher eine solche Klage zu gewinnen. Da jedoch die Grundlage für dieses Urteil sich von der Situation in Bochum in entscheidenden Punkten unterscheidet, sollte man sich da nicht so sicher sein. Dahingehend wäre es ja nicht das erste Mal, dass nach einer gerichtlichen Klärung im Endeffekt die vorherigen Aussagen dazu sich nicht bestätigten…
Weitere Berichte
Auch andere Medien berichteten über die Ratssitzung – und natürlich auch Parteien und Fraktionen selbst:
- WAZ Bochum: AfD in Bochum dank CDU im Verwaltungsrat der Sparkasse
- Radio Bochum: AfD im Sparkassen-Verwaltungsrat
- Die PARTEI Bochum: Spielberichterstattung: Zweite Ratssitzung
- FDP Bochum: Wer eine AfD-Liste wählt, verabschiedet sich vom demokratischen Grundkonsens in Bochum.
- Grüne Bochum: Paukenschläge in der Ratssitzung
- Linksfraktion Bochum: Newsletter Dezember 2020 aus dem Rathaus
- Stadtgestalter: CDU im Bochumer Stadtrat verliert ihren moralischen Kompass
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