Neue Gesichter, großes Interesse und viele Wahlen – am Donnerstag, 19. November, trat der Rat der Stadt Bochum zur konstituierenden Sitzung zusammen. Die insgesamt 86 Mitglieder trafen sich unter Corona bedingten Hygienemaßnahmen im RuhrCongress.
Amtseinführung von Oberbürgermeister Thomas Eiskirch
Thomas Eiskirch (SPD) wurde als Oberbürgermeister in sein Amt durch den Altersvorsitzenden Wolfgang Horneck (CDU) eingeführt.
Rede zur Amtseinführung
Zu Beginn seiner Rede äußerte er sich zu den aktuellen Auswirkungen der Pandemie:
„Viele machen sich Sorgen, wie es weitergeht, leiden unter den Kontaktbeschränkungen, vermissen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen den Kontakt zu ihren Angehörigen. Junge Menschen müssen derzeit auf vieles verzichten, was genau diesen Lebensabschnitt so spannend macht. Viele bangen um ihren Arbeitsplatz oder kämpfen um die Existenz ihres Unternehmens. Andere profitieren allerdings auch von der Pandemie, weil bestimmte Branchen nun Hochkonjunktur haben.“
Oberbürgermeister Thomas Eiskirch
Er lobte auch das Zusammenwirken des Rates:
„Wir haben in der zurückliegenden Wahlperiode gezeigt – gerade wenn es um Haltungsfragen eines wehrhaften Bochums, um wichtige Entscheidungen bei unseren Beteiligungsgesellschaften oder auch um Zukunftsfragen unserer Stadt geht – Politik und Verwaltung stehen hier zusammen und haben das große Ganze im Blick.“ Und ergänzte: „Ich will als Oberbürgermeister weiter hierzu meinen Beitrag leisten. Ich bin Oberbürgermeister für alle und nicht nur für diejenigen, die mich gewählt haben.“
Schwerpunkte seiner Arbeit
Vier thematische Schwerpunkte seiner Arbeit in den kommenden Jahren nannte Thomas Eiskirch:
- Arbeit und Wirtschaft
- Klimaschutz
- Mobilität
- Familien
Unmissverständlich machte Eiskirch deutlich:
PDF-Download: Rede von Thomas Eiskirch zur konstituierenden Ratssitzung„Wir müssen als demokratische Parteien und gewählte Vertreterinnen und Vertreter der Bürgerschaft ungeheuer aufpassen. Die ständige Provokation im Deckmantel von bürgerlichem Anschein bedroht unsere Gesellschaft nachhaltig. Wir sind alle gefordert.“
Wahl der stellvertretenden BürgermeisterInnen
In der ersten Sitzung des Rates wurden drei Bürgermeister/innen gewählt: Gabriela Schäfer (SPD), Züleya Demir (Grüne) und Dr. Sascha Dewender (CDU) sind damit ehrenamtliche Stellvertreter/innen des Oberbürgermeisters und unterstützen ihn bei repräsentativen Aufgaben.
Bildung der Ausschüsse
In der mehrstündigen Sitzung entschied der Rat auch über Bildung und Zusammensetzung folgender Ausschüsse:
- Haupt- und Finanzausschuss
- Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales
- Ausschuss für Beteiligung und Controlling
- Betriebsausschuss für Eigenbetriebe
- Ausschuss für Kinder, Jugend und Familie
- Ausschuss für Kultur und Tourismus
- Ausschuss für Mobilität und Infrastruktur
- Ausschuss für Planung und Grundstücke
- Rechnungsprüfungsausschuss
- Ausschuss für Schule und Bildung
- Ausschuss für Sport, Bewegung und Freizeit
- Ausschuss für Strukturentwicklung, Digitalisierung und Europa
- Ausschuss für Umwelt, Nachhaltigkeit und Ordnung
- Umlegungsausschuss
- Wahlprüfungsausschuss
Besetzung der Ausschüsse
Die Ausschüsse wurden nicht nur offiziell gebildet, sondern auch besetzt. Die Besetzung der Ausschüsse ist zwar ganz klar geregelt, nichtsdestotrotz kann es hier zu Überraschungen kommen.
So kam es 2014 – zu Beginn der letzten Wahlperiode – in einem Ausschuss dazu, dass es dort keine Mehrheit der rot-grünen Rathauskoalition gab, obwohl auch 2014 die Koalition von SPD und Grünen eine Mehrheit im Rat hatte.
Grundlage für die Ausschussbesetzung
Die Ausschüsse werden nach dem Hare-Niemeyer-Verfahren besetzt. Bei einer Ausschussgröße von 15 Mitgliedern würde sich da theoretisch folgende Besetzung ergeben:
Berechnung nach Hare-Niemeyer
Berechnung der Ausschusssitze (15’er Ausschüsse) nach Hare-Niemeyer
Gesamtstimmenzahl: 86 Ratsmitglieder
|
Stimmen- anteil (%) |
Sitze (anteilig) |
Sitze (Ganzzahl) |
Sitze (zugeteilt) |
1. Wahlvorschlag SPD |
33,7209 |
5,0581 |
5 |
5 |
2. Wahlvorschlag Grüne |
22,0930 |
3,3140 |
3 |
3 |
3. Wahlvorschlag CDU |
20,9302 |
3,1395 |
3 |
3 |
4. Wahlvorschlag AfD |
5,8140 |
0,8721 |
|
1 |
5. Wahlvorschlag Linke |
5,8140 |
0,8721 |
|
1 |
6. Wahlvorschlag FDP |
3,4884 |
0,5233 |
|
1 |
7. Wahlvorschlag UWG/FB |
3,4884 |
0,5233 |
|
1 |
8. Wahlvorschlag PARTEI |
2,3256 |
0,3488 |
|
|
9. Wahlvorschlag SG |
2,3256 |
0,3488 |
|
|
Erläuterung zur Berechnung
Die ersten 11 Sitze konnten über die ganzzahligen Sitzanteile vergeben werden (das heißt ohne die Nachkommastellen zu berücksichtigen). Dann fehlen aber noch 4 Sitze, die noch zu verteilen sind.
Diese verbliebenen 4 Restsitze wurden dann über die jeweils höchste Nachkommastelle zugewiesen an:
Wahlvorschlag Nr. 4: AfD (Nachkomma 0,8721%)
Wahlvorschlag Nr. 5: Die Linke (Nachkomma 0,8721%)
Wahlvorschlag Nr. 6: FDP (Nachkomma 0,5233%)
Wahlvorschlag Nr. 7: UWG/Freie Bürger (Nachkomma 0,5233%)
Für die Wahlvorschläge Nr. 8 (Die PARTEI) und Nr. 9 (Die Stadtgestalter) erhielten dieser Berechnung keinen Sitz.
Taktische Optionen…
Das obige Beispiel ist – obwohl es insgesamt sechsmal dieselbe Nachkommastelle gab – eindeutig.
Insofern entsprach also das Ergebnis dem, was bei einer reinen Berechnung nach Hare-Niemeyer auch das Ergebnis gewesen wäre.
Es kann jedoch auch Konstellationen geben, wonach ein Sitz über die Nachkommastelle zu vergeben ist und es dort dann keinen eindeutigen Gewinner für diesen Sitz gibt. In so einem Fall ist dann ein Los zu ziehen.
Denn man kann sich ja nie sicher sein, dass alle Ratsmitglieder einer bestimmten Partei so abstimmen, wie gewünscht. Denn natürlich haben die gewählten Ratsmitglieder ihr freies Mandat und sind nicht an Weisungen gebunden. Dann kann das Ergebnis sich auch dadurch ändern, dass beispielsweise von einer Partei gar nicht alle Mitglieder – beispielsweise aus Krankheitsgründen – vor Ort sind, wodurch die reine mathematische Lehre nicht zum Tragen kommt.
Das ist aber nicht schlimm und vom Gesetzgeber auch so vorgegeben – denn ansonsten könnte ja auch gleich z.B. der Wahlausschuss die Sitze alleine nach mathematischen Regeln vergeben.
Bei der Ausschussbildung 2014 kam es beispielsweise zu Konstellationen, wo die Vorschläge der CDU mehr Gewicht hatten, als es mathematisch ausgerechnet war.
Ergebnis der Ausschussbesetzungen 2020
In der konstituierenden Ratssitzung gab es insgesamt neun Vorschlagslisten zur Wahl der Ausschussbesetzungen. In allen 15er Ausschüssen sah das Wahlergebnis am Ende wie folgt aus:
- Wahlvorschlag: SPD = 5 Sitze
- Wahlvorschlag: Grüne = 3 Sitze
- Wahlvorschlag: CDU = 3 Sitze
- Wahlvorschlag: Linke = 1 Sitz
- Wahlvorschlag: UWG/FB = 1 Sitz
- Wahlvorschlag: FDP = 1 Sitz
- Wahlvorschlag: AfD = 1 Sitz
- Wahlvorschlag: Stadtgestalter = 0 Sitze
- Wahlvorschlag: Die PARTEI = 0 Sitze
Insofern entsprach das Ergebnis auch dem, was bei einer reinen Berechnung nach Hare-Niemeyer auch das Ergebnis gewesen wäre.
Taktische Spielchen von „Die PARTEI“ und Stadtgestaltern
Bei den vier Ratsmitgliedern von „Die PARTEI“ und den Stadtgestaltern führte dieses Ergebnis, als es beim ersten Ausschuss (Haupt- und Finanzausschuss) vom Sitzungsleiter Thomas Eiskirch vorgetragen wurde, für Verwirrung.
Denn die jeweils beiden Ratsgruppen hatten zwar für jeden Ausschuss jeweils eine Vorschlagsliste eingebracht, sich aber anscheinend taktisch so entschieden, dass sie sich die Ausschüsse aufgeteilt haben. In dem einen Ausschuss (z.B. beim Haupt- und Finanzausschuss) stimmten alle vier Ratsmitglieder nur für „Die PARTEI“, während im nächsten Ausschuss dann die Stadtgestalter die vier Stimmen erhielten usw.usf.
Das führte dann dazu, dass die eigenen Wahlvorschläge in jedem zweiten Ausschuss keine einzige Stimme erhielten.
Strategisches Ziel dabei war es, dass man mit den 4 Stimmen mehr politisches Gewicht erlangt als die jeweils 3 Stimmen der Fraktionen von FDP sowie UWG: Freie Bürger.
Wenn das Spielchen aufgegangen wäre, dann hätte in jedem der Ausschüsse entweder ein Vertreter von „Die PARTEI“ bzw. Stadtgestalter gesessen und für den verbliebenen letzten Platz hätte es zu einem Losentschied zwischen FDP und UWG: Freie Bürger kommen müssen.
Das ging jedoch deswegen nicht auf, weil bei der Wahl der Ausschusslisten die Wahlvorschläge von FDP sowie UWG: Freie Bürger mehr Stimmen erzielten als die inoffizielle Listenkombination von „Die PARTEI“ & Stadtgestalter.
Anfangs schien man dort noch verwundert, nachher regte man sich anscheinend sogar drüber auf. Dabei war doch nur den anderen Ratsmitgliedern offensichtlich eine Art „Gegenzauber“ (um es mal in der bevorzugten Sprachweise eines der Ratsmitglieder der Partei auszudrücken…) eingefallen, um diesem taktischen Spielchen von „Die PARTEI“ und Stadtgestaltern zu begegnen.
Übrigens: Wie 4630.de erfuhr gab es im Vorfeld der Sitzung einige Gespräche der Opposition, in denen gemeinsame Chancen ausgelotet wurden. Auch um zu prüfen, ob und inwiefern beispielsweise der Einfluss der AfD minimiert werden könnte.
Diese Gespräche scheiterten diesmal – 2014 waren sie zum Teil erfolgreich – jedoch an „überzogenen Gremienvorstellungen“ einzelner Beteiligter. Denen war es anscheinend auch egal, dass dadurch die AfD überall vertreten sein würde.